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Reife Zeit


In unserem Garten stehen zwei Pflaumenbäume. Nachdem sie jahrelang keine Früchte getragen hatten, spielte mein Vater inzwischen mit dem Gedanken, sie zu ersetzen.

Doch dieses Jahr kam es anders. Aus dem Nichts, so schien es, hingen die zwei alten Bäume plötzlich so voll mit Pflaumen, dass sich ihre Äste und Zweige unter der lieblich lila Last schon dem Boden entgegen neigten - und so optimalerweise für mich auch ohne Leiter erreichbar waren. Nicht ein einziges Früchtchen war in irgendeiner Weise "schlecht" oder hinüber oder gar von einem Untermieter bewohnt.

Und als die Zeit reif war, landeten nach und nach einzelne und irgendwann unzählbar viele Früchte mit einem sanften, dumpfen Aufprall im Gras. Jeden Tag aufs Neue war die grüne Wiese übersät von kleinen lila Tupfern. Und wenn man innehielt, brauchte man nur einige Sekunden zu warten, bis die nächste Pflaume den Mut gefunden hatte, um den Ast loszulassen und zu springen. Oder vielleicht besser gesagt; um sich fallen zu lassen.

Es war beruhigend und faszinierend zugleich, diesen einen, entscheidenden Augenblick abzuwarten, der sich aus irgendeinem Grund und beeinflusst von zig physikalischen, biologischen und chemischen Faktoren, genau in diesem Moment entschloss zu passieren.

Und dieser eine Moment, der der richtige ist - ich glaube, wir Menschen sind sehr gut darin, ihn zu verpassen.

Vielleicht ahnen wir oft, dass es soweit ist, aber es könnte ja doch noch etwas dauern... Vielleicht bemerken wir ihn auch einfach nicht. Oder - und das ist die schlimmste Art von Verpassen - wir bemerken ihn, ahnen oder wissen sogar, dass es der richtige Moment ist, aber sind zu feige, zu springen. Zu feige, uns fallen zu lassen.

Weil wir die Ungewissheit, die uns da erwartet, so fürchten wie die Dunkelheit oder den Tod (wobei diese drei Buchstaben für die größte aller Ungewissheiten stehen und niemand eigentlich so richtig weiß, ob es sich lohnt, davor Angst zu haben).

Meine persönliche aktuelle Ungewissheit bezieht sich auf meine neue Wohnsituation, die ich bereits mit großer Vorfreude erwarte. Plötzlich und kurzentschlossen wusste ich, dass die Zeit reif für eine Veränderung war. Mir begegneten mehrere kleine Zufälle und ohne Vorwarnung besichtigte ich drei WGs und bei der letzten wusste ich, dass ich da hingehörte. Ich bekam eine Zusage und innerhalb von ca. 10 Tagen änderte sich mein Wohnstatus von zufrieden im (coolsten) Kinderzimmer (ever) zu "WG gefunden".

Was mich an der ganzen Sache am glücklichsten machte, war dieses Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort das Richtige getan zu haben. Mit anderen Worten: ich hatte mich getraut, darauf zu vertrauen, dass die Zeit reif war und war gesprungen.

Hatte mich fallen gelassen.

Mal sehen, was diese neue Ungewissheit so mit sich bringt.

Die Pflaumen, die frisch im Gras gelandet sind, sind übrigens die besten.

Alles Liebe.

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